Putzmunter blickt die kleine Nina zu ihrer Mutter, während Kinderarzt Dr. Alexander Beider sie untersucht. Das drei Wochen alte Mädchen scheint kerngesund zu sein – wer kann schon sagen, ob sie im Laufe ihrer Kindheit an Diabetes erkranken wird? Die Teilnahme an der sogenannten Freder1k-Studie soll genau dies möglich machen.
Seit Anfang Februar kooperiert das Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus als landesweit erster Vertragspartner mit dem Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover und bietet frischgebackenen Eltern an, kostenlos das Diabetes-Risiko ihres Babys testen zu lassen. Die Freder1k-Studie läuft europaweit, insgesamt sollen 300.000 Babys untersucht werden. Notwendig sind dafür nur zwei Tropfen Blut, die den Neugeborenen auch im Rahmen des regulären Screenings auf behandelbare Stoffwechselerkrankungen abgenommen werden können. Für Ninas Mutter Natalie Weber war dies ein wichtiger Grund, an der Freder1k-Studie teilzunehmen. „Eine zusätzliche Untersuchung oder Blutabnahme hätte ich meiner Tochter nicht zugemutet“, sagt die 31-jährige Hildesheimerin. „Aber da das Blut sowieso abgenommen wird, war es für mich keine Frage, auch gleich Ninas Diabetes-Risiko testen zu lassen.“ An Diabetes erkrankte Verwandte hat Natalie Weber in ihrer Familie zwar nicht. Aber sie arbeitet in der Herzforschung der Medizinischen Hochschule Hannover und weiß um die Bedeutung medizinischer Studien, die der Prävention und Erforschung von Krankheitsbildern dienen.
Dr. Alexander Beider, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am St. Bernward Krankenhaus, ist von der Wichtigkeit der Freder1k-Studie ebenfalls überzeugt – auch, weil er weiß, wie gefährlich Diabetes gerade im Kindesalter sein kann. „Die Symptome einer Diabeteserkrankung sind im Kleinkindalter oft nur sehr schwer zu erkennen.“ Deshalb käme fast die Hälfte der Kinder mit einer lebensbedrohlichen Ketoazidose, das heißt einer Übersäuerung des Körpers, in die Klinik.
Bundesweit leben etwa 24.000 Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1. Damit ist Diabetes die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Minderjährigen. Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Lebensjahr an Typ-1-Diabetes erkranken, ist den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, jährlich um etwa drei bis fünf Prozent. Eine fundierte Erklärung gibt es dafür bisher nicht. Vermutet wird ein Zusammenhang mit veränderten Ernährungs- und Lebensgewohnheiten, die eine Diabetes-Erkrankung negativ beeinflussen können.
Ob ein Kind an Typ-1-Diabetes erkrankt oder nicht, hängt jedoch nicht von Umweltfaktoren ab, sondern basiert auf einer genetischen Veranlagung. Genau hier setzt die Freder1k-Studie an. „Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung“, erklärt Dr. Beider. Körpereigene Antikörper greifen in der Bauchspeicheldrüse die Zellen an, die für die Produktion des Hormons Insulin verantwortlich sind. Gibt es nur noch etwa die Hälfte dieser Zellen im Körper, bricht Diabetes Typ 1 aus. „In Studien wurde festgestellt, dass es bestimmte Kombinationen von Genen im Körper gibt, bei denen das Diabetes-Risiko erhöht ist“, berichtet Dr. Beider. In der Freder1k-Studie werde untersucht, ob diese Genkombination vorliege. Sei dies der Fall, steige die Wahrscheinlichkeit an Diabetes zu erkranken von 0,3 auf drei Prozent und sei damit um das Zehnfache erhöht. Leide zusätzlich noch ein Verwandter ersten Grades an Diabetes Typ 1, liege das Risiko zu erkranken sogar höher als zehn Prozent. „Mit Hilfe der Freder1k-Studie können wir diese Kinder identifizieren und im Anschluss adäquat beraten und betreuen“, sagt Dr. Beider.
Für jedes Baby, das an der Studie teilnimmt, wird das Erkrankungsrisiko individuell errechnet – dies geschieht in einem Labor in Großbritannien und im Helmholtz-Zentrum in München. Bei etwa zehn von 1000 Kindern treten die Risikogene auf. Liegt das Risiko an Typ-1-Diabetes zu erkranken über zehn Prozent, kontaktiert in Niedersachsen das Kinderkrankenhaus Auf der Bult die Eltern des betroffenen Kindes und bietet ihnen an, mit ihrem Kind an einer weiteren Präventionsstudie teilzunehmen, der sogenannten POInt-Studie. Hierbei wird dem Baby mit der Nahrung Insulinpulver verabreicht. „Damit wird versucht, die Überreaktion des Immunsystems auf die insulinproduzierenden Zellen zu verändern und abzuschwächen und so den Ausbruch einer Diabetes-Erkrankung zu verzögern oder gar zu verhindern“, erklärt Dr. Beider.
Im Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus wurden bis Mitte März 72 Neugeborene auf ihr Diabetes-Risiko getestet. Da die Laboruntersuchungen bis zu zwölf Wochen dauern können, liegen bisher keine Ergebnisse vor. „Selbst wenn einige der bei uns untersuchten Kinder Risikogene in sich tragen sollten, muss klar sein: Diese Kinder müssen nicht zwingend an Diabetes erkranken“, verdeutlicht Dr. Beider. Das Wissen um das Risiko ermögliche es aber den Eltern und Ärzten, die Kinder in ihrer Entwicklung genau zu beobachten und im Ernstfall schnell zu handeln.
Natalie Weber blickt dem Untersuchungsergebnis ihrer Tochter Nina dementsprechend entspannt entgegen. „Natürlich wünsche ich mir, dass meine Tochter gesund ist und die Risikogene nicht in sich trägt“, sagt sie. „Aber wenn es doch so sein sollte, bin ich einfach froh, dass mein Mann und ich Bescheid wissen, damit wir im Fall der Fälle die Erkrankung schnell erkennen und behandeln lassen können.“