Langweilig wird es mit Sayed nicht, soviel steht bereits nach einer Minute fest. Frech grinsend saust der Fünfjährige aus Afghanistan mit seinem Rollstuhl über die Flure der Kinderklinik am St. Bernward Krankenhaus, bleibt vor dem Aufzug stehen und deutet mit dem Zeigefinger auf den Knopf. Erzieherin Monika Sydow guckt streng. Oder versucht es zumindest. „Nein, Sayed, den Knopf drückst du jetzt nicht“, sagt sie laut. Zu spät. Der Aufzug kommt bereits. Monika Sydow seufzt. „Das macht er zu gern“, stellt sie fest und muss dann doch lachen. „Ich freue mich ja, dass er so aufgetaut ist. Am Anfang hat er nur geweint und wollte niemanden an sich heranlassen.“
Vor wenigen Wochen kam Sayed mit immer wiederkehrenden, schmerzhaften Schwellungen an seinem linken Bein über das Friedensdorf Oberhausen in das St. Bernward Krankenhaus. Der Grund für die Schwellung war schnell gefunden: Entzündungsherde innerhalb des Schienbeinknochens verursachten die Beschwerden. Wie die Entzündungen entstanden sind, lässt sich für die Ärzte hingegen nicht mehr nachvollziehen. „Wir haben keine Granatsplitter gefunden, es muss sich um alte Verletzungen handeln“, erklärt Daniel Moneke, Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Fest steht: In seinem Heimatland hätte Sayed nur wenig Chancen gehabt, sein Bein zu behalten. „Die Behandlungsprozedur bei Knochenentzündungen ist zeitintensiv, da der Knochen intensiv gespült und dann mit Antibiotikaketten versorgt werden muss – und das mehrfach“, erläutert der Chirurg. Fünfmal musste Sayed für diese Behandlung bereits in den OP, unter anderem auch, weil bei ihm mehrfach multiresistente Keime festgestellt worden sind. Die Kosten für die Therapie trägt ausschließlich das St. Bernward Krankenhaus. In Afghanistan, so vermutet Moneke, hätte der Junge diese aufwändige Behandlung nicht bekommen. „Wahrscheinlich wäre ihm recht schnell das Bein amputiert worden.“
Was der kleine Junge aus Afghanistan in seinem jungen Leben bereits erlebt haben muss, können die Ärzte, Pflegekräfte und Erzieherinnen am St. Bernward Krankenhaus nur erahnen. „Als neulich der Rettungshubschrauber bei uns landete, war Sayed sehr aufgeregt und deutete mit seinen Händen Pistolenschüsse an“, erinnert sich Monika Sydow. „Da wird einem schon ganz anders, wenn man so etwas beobachtet.“
Nach seinem Aufenthalt im St. Bernward Krankenhaus wird sich Sayed noch einige Zeit im Friedensdorf in Oberhausen erholen, bevor er zurück zu seiner Familie nach Afghanistan kehrt. Dort, so hofft Moneke, wird er gesund bleiben. „Es kann passieren, dass Keime im Körper zurückbleiben und die Knochenentzündungen irgendwann zurückkehren.“ Es gebe aber auch viele Fälle, in denen die behandelten Patienten lebenslang geheilt sind. „Das wünschen wir Sayed sehr“, betont Moneke. „Wir hoffen natürlich, ihn eines Tages wiederzusehen – aber bitte nicht hier in der Klinik als Patienten.“