Sie ist erst sieben Jahre alt und doch weiß Emilia* mehr über Kohlenhydrate, den Blutzuckerspiegel und Insulin als die meisten Erwachsenen. Ein Blutzuckerwert von 40 Milligramm pro Deziliter sei viel zu wenig, erklärt die Grundschülerin, dann müsse sie Traubenzucker essen oder Apfelsaft trinken. „Besser ist es, wenn die Zahl 110 oder 120 ist“, Dabei zeigt Emilia stolz auf ihr sogenanntes CGM-Gerät, das sie am Gürtel trägt und das per Sensor auf dem Bauch kontinuierlich ihren Blutzucker misst und den aktuellen Wert auf einem Display abbildet. Ist der Wert zu niedrig, piept das Gerät und warnt so vor Unterzuckerung. Emilia hat – wie etwa 24.000 weitere Kinder und Jugendliche in Deutschland – Typ 1 Diabetes und wird ihr Leben lang auf ihre Insulinpumpe angewiesen sein. Im St. Bernward Krankenhaus soll sie gemeinsam mit vier weiteren Kindern, die ebenfalls an Typ 1 Diabetes erkrankt sind, lernen, mit der Stoffwechselstörung umzugehen.
Pünktlich zum Start ins neue Schuljahr hat die Kinderklinik den zweitägigen Kurs für Typ-1-Diabetiker „Fit für die Schule“ angeboten – sowohl für Grundschüler sowie erstmals auch für ältere Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren. Während des zweitägigen Programms vermitteln Oberärztin Dr. Constanze Lämmer, Diabetesberaterin Anika Bokelmann und das Diabetesteam den Mädchen und Jungen spielerisch, worauf sie bei ihrer Erkrankung achten müssen.
„Wenn Kinder mit Typ 1 Diabetes in die Schule kommen und damit nicht mehr unter der ständigen Beobachtung ihrer Eltern stehen, müssen sie in Bezug auf ihre Erkrankung selbstständiger werden“, erklärt Dr. Lämmer, die in der Kinderklinik am St. Bernward Krankenhaus auf hormonelle Erkrankungen und Stoffwechselstörungen spezialisiert ist. Zwar tragen alle der fünf Grundschüler in der Schulungsgruppe eine Insulinpumpe. Die sorgt dafür, dass das sogenannte Basalinsulin automatisch per Katheter in den Körperkreislauf gelangt, um den Blutzuckerspiegel Tag und Nacht konstant zu halten. In manchen Situationen benötigten die Kinder aber mehr Insulin oder auch eine höhere Energiezufuhr, betont Dr. Lämmer, zum Beispiel bei Mahlzeiten oder beim Sport.
So bestehe bei Kindern, die an Typ 1 Diabetes erkrankt und sportlich aktiv sind, aufgrund des höheren Energieverbrauchs die Gefahr der Unterzuckerung. „Gerade jüngere Schüler erkennen die Warnsignale einer Unterzuckerung häufig nicht. Deshalb bringen wir ihnen bei, worauf sie achten müssen und wie viel Traubenzucker in so einem Fall gut für sie ist.“ Auch beim Essen müssen Menschen mit Diabetes bestimmte Verhaltensweisen einhalten. „Für jede Mahlzeit müssen die Kohlenhydrateinheiten per Hand in die Insulinpumpe eingetippt werden“, erklärt Anika Bokelmann. Eine Kohlenhydrateinheit (KE oder KHE) entspricht dabei etwa 10 Gramm Kohlenhydraten. Die Insulinpumpe berechnet dann automatisch, wie viel zusätzliches Insulin in den Körper abgegeben werden muss, um den Blutzuckerspiegel nicht ansteigen zu lassen.
„Gerade jüngere Kinder brauchen bei der Eingabe der KE die Unterstützung von Erwachsenen, aber nicht jede Schule kann dies leisten.“ Aus der Gruppe der Grundschüler hätten nur drei der fünf Kinder in der Schule einen Betreuer an ihrer Seite. „Und bei den älteren Kindern, die weiterführende Schulen besuchen, gibt es meist gar keinen Betreuer mehr. Deshalb ist es gut, wenn die Kinder möglichst früh selbst lernen, was zu tun ist und dieses Wissen regelmäßig auffrischen.“ Allen jungen Diabetes-Patienten, egal ob Typ 1 oder Typ 2, empfehle sie, sich alle zwei Jahre schulen zu lassen – die Kosten werden in der Regel von den Krankenkassen übernommen.
Neben der Vermittlung des praktischen Wissens haben die Diabetes-Schulungen einen positiven psychologischen Effekt. „Zum einen lernen die Kinder in der Gruppe, dass sie mit ihrer Erkrankung nicht allein sind, sondern dass es viele andere gibt, die ebenfalls damit leben“, stellt Dr. Lämmer fest. Dieses Gemeinschaftsgefühl stärke das Selbstbewusstsein.
Zum anderen ändere das Gefühl, die Krankheit auch allein ohne die Hilfe von Erwachsenen kontrollieren zu können, häufig die Einstellung der Kinder. „Ich verwende hier gern das Bild der Eisenkugel, die durch den Luftballon ersetzt wird“, sagt Anika Bokelmann. „Die Erkrankung ist immer noch stets bei einem – aber es wird alles etwas leichter.“
*Name geändert