Natürlich habe er sich vorher darüber Gedanken gemacht, wie die Kommunikation in den Operationssälen bloß funktionieren solle. „Bis auf einen unserer Assistenzärzte sprechen wir alle kein Russisch“, stellt Daniel Moneke, Oberarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie am Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus (BK) fest. Und doch soll er zwei Wochen lang gemeinsam mit Chefarzt PD Dr. Markus Beck und den anderen Kollegen aus der Klinik zwei Chirurgen aus Luzk in der Ukraine betreuen und ihnen zeigen, wie moderne chirurgische Instrumente und operative Techniken in Deutschland zum Einsatz kommen. Als Moneke schließlich mit Dr. Miroslava Nabuchodnaja und Dr. Bogdan Petertschuk im OP steht, ist er erstaunt, wie gut die Verständigung klappt. „Im Medizinstudium haben wir alle dieselben lateinischen Begriffe gelernt“, erklärt der Oberarzt. „Wenn man so will, ist unsere gemeinsame Sprache die Medizin.“
Organisiert wurde der Besuch der ukrainischen Ärzte vom Hildesheimer Verein Aktion Tschernobyl-Hilfe. Dessen Vorsitzende Rita Limmroth setzt sich seit Jahren für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung in der Ukraine ein. „Dank der Unterstützung verschiedener Medizingeräte-Hersteller konnten wir in den vergangenen Monaten medizinische Geräte und chirurgische Präzisionsinstrumente für die Klinik in Luzk beschaffen“, freut sich Rita Limmroth. Jetzt müssten die ukrainischen Chirurgen aber noch lernen, wie sie mit diesen Geräten umgehen und operieren können.
Unter welchen Bedingungen die ukrainischen Kollegen in der Gebietskinderklinik in Luzk zum Teil arbeiten müssen, schockiert die Ärzte im BK. „Wir operieren häufig mit Geräten aus dem Baumarkt und müssen oft improvisieren – je nachdem, welche Mittel uns für die Operation zur Verfügung stehen“ berichtet Dr. Petertschuk. Der Chirurg arbeitet mit fünf weiteren Kollegen unter der Leitung von Chefärztin Dr. Nabuchodnaja in der Unfallchirurgie und Notfallmedizin der Kinderklinik in Luzk. In der 35-Betten-Abteilung versorgen die Ärzte jährlich etwa 1.300 Kinder und Jugendliche. „Wir behandeln viele Traumata“, erzählt Dr. Nabuchodnaja. Darüber hinaus kommen zahlreiche Kinder zu ihnen, die von ungelernten ‚Ärzten’ in ihren Heimatorten fehlerhaft behandelt wurden. „Hier müssen wir oft versuchen zu retten, was zu retten ist“, stellt Dr. Petertschuk fest. Eine generelle Krankenversicherung gebe es in der Ukraine nicht, die Menschen müssten fast sämtliche Behandlungen selbst bezahlen. „Deshalb wollen viele verhandeln oder gehen gar nicht erst ins Krankenhaus“, ergänzt Dr. Nabuchodnaja.
In Deutschland sehen die beiden Ärzte aus der Ukraine nun zum ersten Mal, was mit modernen Geräten und einem guten medizinischen Versorgungsnetz alles möglich ist. Frustriert sie das? Dr. Petertschuk verneint und ist stattdessen optimistisch. „Ich schaue immer nach vorn und bin einfach dankbar dafür, dass uns diese Möglichkeit geboten wurde.“ Auch Dr. Nabuchodnaja ist sich sicher, dass die kleinen Patienten in der Ukraine von dem Deutschland-Besuch der Ärzte profitieren werden. „Wir kennen nun neue Operationstechniken und Möglichkeiten der Diagnostik, und auch die Organisation innerhalb der Operationssäle, in der Zentralen Notaufnahme und auf den Stationen hat uns sehr beeindruckt. Davon werden wir vieles mitnehmen.“
Und auch die deutschen Mediziner haben einiges von den ukrainischen Kollegen gelernt. „Die Geschichten, die ich zu hören bekommen habe, haben mich schon etwas zurück auf den Boden geholt“, stellt Daniel Moneke fest. „Es wird einem deutlich, auf was für einem hohen Niveau man doch manchmal jammert.“