Und wie haben Sie sich den Berufswunsch erfüllt?
Ich komme ursprünglich aus Harsum und bin hier in Hildesheim zur Michelsenschule gegangen. Ich wusste, dass ich für die Ausbildung ein Abitur benötige. Zusätzlich habe ich bereits während der Schule Praktika bei Hebammen absolviert. Mit 15 hatte ich das ganz große Glück: ein Praktikumsplatz im Kreißsaal – aufgrund meines Alters eigentlich nicht möglich – und ich durfte bei einer Geburt dabei sein. Ich war so glücklich, dass mir das eine Hebamme ermöglicht und dass die schwangere Frau zugestimmt hat. Ich weiß noch ganz genau, wie ich hinten an der Badewanne lehnte, während die Frau im Kreißbett entbunden hat. Ich musste mich festhalten, sonst wäre ich hinten runtergerutscht, als das Kind kam. So fasziniert war ich. Was für ein unbeschreiblicher Moment. Die Hebamme hat mir nach der Geburt eine Nabelklemme geschenkt, die ich noch heute an meinem Schlüsselbund trage: meine erste Klemme von meiner ersten Geburt.
Das heißt, dass Sie gleich nach dem Abitur die Ausbildung zur Hebamme begonnen haben?
Nein, bis zur Ausbildung war es ein langer und harter Weg. Ich habe 2006 mein Abitur gemacht und erst 2008 einen Ausbildungsplatz bekommen. Zu dem Zeitpunkt war es ein Sechser im Lotto, wenn man überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Da waren 1000 Bewerber auf 12 Ausbildungsplätze. Es war sehr frustrierend eine Absage nach der anderen zu bekommen. Ich hatte mich schon während meiner Schulzeit für die Ausbildung beworben und hätte dafür auch die Schule abgebrochen.
Ich habe nach dem Abi ein Praktikum nach dem anderen gemacht und gejobbt. Praktika sind für den Lebenslauf gut, aber auch hier sind die Plätze rar und man kann sich nicht nur auf den Raum Hildesheim begrenzen. In Bielefeld habe ich zum Beispiel drei Monate in einer riesigen Geburtshilfe Praktikum gemacht. Ich habe für mehrere Monate in der MHH gearbeitet, was sehr eindrucksvoll war. Und ich bin sogar über mehrere Wochen jeden Tag nach Goslar gependelt.
Das ist schon sehr bemerkenswert, was Sie da auf sich genommen haben.
Nun ja, ich wusste einfach, dass mich das glücklich machen wird. Natürlich war das nicht leicht. Und das hätte auch nicht funktioniert, wenn ich nicht die Unterstützung meiner Eltern gehabt hätte. Ihnen war immer wichtig, dass wir bei allem, was wir machen, glücklich sind. Ein Spruch, der mich während der Zeit begleitet hat und den ich deshalb auch auf meiner Bewerbung stehen hatte, ist von Friedrich von Hagedorn: „Der ist beglückt, der sein darf, was er ist…“. Für mich bringt es das auf den Punkt.
Nach zwei harten Jahren hatte ich dann endlich ein Vorstellungsgespräch in Hameln und damit dann auch meinen Ausbildungsplatz. Der Moment war für mich das Allergrößte.
2011 war ich examinierte Hebamme und stolz wie Bolle. Aber was dann? Zu dem Zeitpunkt war es noch nicht so, dass Hebammen händeringend gesucht wurden. Und somit ging die Bewerbungsphase wieder los und ich hatte mit einer Freundin beschlossen, nach München zu gehen. Ich hatte mich für eine riesige Klinik mit 3500 Geburten im Jahr entschieden. Die Vorstellungsgespräche liefen gut, der Arbeitsvertrag war in der Post und das Schwesterwohnheim war sozusagen schon gebucht.
Ich habe aber immer gesagt: „Wenn sich mein Traumkrankenhaus meldet und mich haben will, dann lasse ich alles stehen und liegen und bleibe in Hildesheim.“ Und dann, wenn man alles geplant und in trockenen Tüchern hat, meldet sich das St. Bernward Krankenhaus – mein Traumkrankenhaus. Meine Geschwister und ich sind im BK geboren. Ich hatte irgendwie schon immer eine Verbindung zum BK und hätte auch alles dafür gegeben, meine Ausbildung im BK machen zu können. Das war wie mit dem Gefühl Hebamme zu werden: Ich wollte Hebamme im BK sein.
Somit war München kein Thema mehr für mich. Auch wenn es mich traurig gemacht hat, meine Freundin alleine nach München ziehen lassen zu müssen.
Jetzt muss ich gestehen, dass ich vor dem Gespräch mit unseren Hebammen ein etwas falsches Bild von Ihrem Beruf hatte.
Lacht. Ja, das geht vielen so. Hebammen sind dafür da die Babys zu baden, zu wiegen und zu kuscheln. Das ist leider noch in vielen Köpfen so drin. Viele wissen nicht, dass dies ein sehr verantwortungsvoller Beruf ist. Wir arbeiten selbstständig und eigenverantwortlich. Das bedeutet im Klartext: Es gibt für uns Hebammen bei der physiologischen Geburt, sprich der normalen Geburt, keine Hinzuziehungspflicht eines Arztes. Während es andersrum so ist, dass ein Arzt bei jeder Geburt eine Hebamme an der Seite haben muss.
Mein großes Anliegen ist, dass der Beruf nicht ausstirbt. Es muss auf dieser Welt wieder mehr Hebammen geben. In der Ausbildung verändert sich momentan zum Glück einiges, zum Beispiel die Akademisierung des Hebammenberufs.
Was ist das Besondere an dem Beruf?
Wir haben eine ganz große Verantwortung für das Leben der Mutter und für das Leben des Kindes. Wir sind die Fachfrauen für die Schwangerschaft, Geburt und für das Wochenbett. Und wir sind die Fürsprecherinnen der Frauen: Ich kämpfe für die Frau und für die normale Geburt. Das Vertrauen in den eigenen Körper. Dass wir Frauen dafür geschaffen sind, ein Kind zu gebären. Das ist der Glaube, den ich habe.
Aber jetzt darf man das auch nicht falsch verstehen. Wir sind nicht die, die auf der Bühne stehen. Das sind die Frauen. Wir als Hebammen bewegen uns im Hintergrund. Ich beschreibe es immer so: Man muss viel wissen, um zu erkennen, wann man sich zurücknehmen kann und darf. Natürlich ist das manchmal schwer auszuhalten.
Unsere Aufgabe ist es, der Frau das Gefühl und das Vertrauen zu geben, dass sie alles richtigmacht. Der Wunsch von uns Hebammen im BK ist, dass man die normale Geburt fördert und dass wir eine Eins-zu-Eins-Betreuung versuchen zu gewährleisten. Es ist nachgewiesen, dass Frauen weniger Schmerzmittelbedarf haben, wenn Sie bei einer Eins-zu-Eins-Betreuung den Zuspruch der Hebamme haben und ihr vertrauen.
Sie haben nicht den klassischen Job, der nach Dienstschluss aufhört. Warum opfert man als Hebamme so viel seiner Freizeit?
Ganz einfach: Weil es mich erfüllt. Ich genieße es total, wenn ich die Frauen in der Schwangerschaft kennenlerne. Sie vielleicht in der Geburtsvorbereitung in meinem Kurs habe. Oft sehe ich die Frauen dann in der Hebammensprechstunde wieder, wenn sie sich bei uns zur Geburt anmelden. Manche betreue ich bei der Akupunktur. Und es kommt nicht selten vor, dass ich sogar das Glück habe, sie während der Geburt zu begleiten. Einige davon habe ich dann in der Wochenbettbetreuung und im Rückbildungskurs. Dieses Rundumpaket ist einfach toll. Zu sehen, wie eine Familie zusammenwächst, wie sie sich auf einen neuen Menschen einstellt und neu sortiert.
Aber es wäre jetzt natürlich gelogen, wenn ich sage, dass das der einzige Grund ist. Schließlich muss auch ich, wie jeder andere, meine Familie ernähren. Der Vorteil an meiner beruflichen Konstellation ist allerdings, dass ich meinen Job sehr gut mit meiner Familie vereinbaren kann.
Wie gut sind Sie als freiberufliche Hebamme ausgebucht?
Ich erhalte fast täglich Anfragen für die Wochenbettbetreuung. Mich rufen die Frauen jetzt für Termine im Februar / März an, was im August schwierig zu planen ist, wenn man selber seine Urlaubsplanung noch nicht kennt. Natürlich müssen sich die Frauen früh kümmern, um überhaupt eine Hebamme zu finden.
Sie haben selber Familie. Wie schaffen Sie es, Ihre Familie und Ihren Beruf unter einen Hut zu bekommen?
Ich habe für mich eine ganz klare Regelung gefunden: Ich nehme pro Monat nicht mehr als zwei Wochenbettbetreuungen an. Schließlich lassen sich Geburten nicht genau planen und es bedarf etwas Spielraum. Ich möchte jeder Frau die Zeit geben, die sie braucht. Keine frischgebackene Mutter soll das Gefühl haben, dass ich mehr auf die Uhr gucke als alles andere.
Wenn ich aber zu Hause bei meiner Familie bin, versuche ich auch wirklich Feierabend zu machen. Dann stelle ich mein Handy durchaus mal auf lautlos und beantworte nicht sofort jede WhatsApp-Nachricht. Meine Kinder brauchen meine volle Aufmerksamkeit. Wir können nicht 24 Stunden am Tag Hebamme sein. Schließlich ist meine Familie der Part, der mich entschleunigt und wo ich Kraft tanken kann.
Gibt es für Sie „den einen schönen Moment“?
Ja, die Geburt unserer eigenen Kinder hier im BK. Und da kann ich Ihnen sagen, dass auch wir als Hebammen froh sind, dass wir eine Hebamme an unserer Seite haben. Auch wir sind alle nur Menschen mit den gleichen Sorgen und Ängsten wie jede andere schwangere Frau auch. Es gibt aber auch viele schöne Momente in meinem Beruf. Ich habe eine Kiste mit Karten von Müttern, die sich bei mir bedankt haben. Da sind viele sehr schöne, persönliche Worte dabei. Wenn ich diese Karten lese – und das mache ich auch gern, wenn gerade alles nicht so rosig ist oder ich an mir zweifle – dann weiß ich, warum ich diesen Job mache. Viele Worte verursachen selbst nach all den Jahren immer noch eine Gänsehaut bei mir.
Was sind die schwierigen Momente in Ihrem Beruf?
Bei all den schönen Momenten gibt es auch einige, die einen über den Tag und die Nacht nicht loslassen. Nicht alle Kinder werden gesund geboren. Es gibt Kinder, die viel zu früh kommen und einen schwierigen Start ins Leben haben. Es gibt Kinder, die sehr krank zur Welt kommen und manchmal auch viel zu früh wieder von uns gehen. Und es gibt „stille Geburten“. Auch diese betreuen wir und wir sind für die Familien da. Hier müssen wir schauen, dass wir die Situation so gut es geht begleiten. Das sind für uns die schwierigsten Momente, die einem das Herz unheimlich schwermachen. Auch nach vielen Jahren im Beruf. Da laufen uns im Kreißsaal die Tränen und wir trauern gemeinsam mit den Familien. Natürlich wünscht man sich in den Momenten mehr Zeit, die manchmal nicht da ist, weil wir in den nächsten Raum verschwinden und für jemand anderen den Zauber der Geburt entfachen müssen.
Was ist für Sie das Besondere am BK?
Durch die Einführung unseres Expertinnen-Standards zur physiologischen Geburt haben sich die Strukturen bei uns im Kreißsaal verändert. Wir reden unabhängig von Alter, Berufserfahrung und akademischem Grad auf Augenhöhe und besprechen Meinungen und Ideen. Davon ein Teil zu sein bedeutet mir viel. Wir werden in diesem Haus von der Geschäftsführung gehört und geschätzt – auch wenn wir nur ein kleiner Berufszweig sind. Das macht für mich beruflich das BK aus.
Wir versuchen, jeder Frau den schönsten Moment während der Geburt zu bescheren. Unser Haus steht hinter diesem Ziel und gibt uns den Raum dafür. Wenn wir schwangeren Frauen bestimmte Wünsche nicht erfüllen können, ist es uns wichtig, die Frauen einzubeziehen. Mit ihnen gemeinsam zu besprechen, was möglich ist und was nicht. Geburten sind einschneidende Erlebnisse. Frauen können sich noch Jahrzehnte später an Worte, Gesten und Mimik erinnern.
Oft erzählen uns Frauen, warum sie sich für das BK entschieden haben. Wir hören von vielen, dass sie es bei uns sehr familiär finden und es als einen geschützten, liebevollen Raum wahrnehmen. Das freut uns zu hören und bestärkt uns in unserem Handeln. Und dieses Gefühl habe ich auch selber hier.
Ein weiterer Punkt ist unsere Hebammenschule. Die Frauen im Kreißsaal begrüßen es, wenn zusätzlich eine Schülerin bei der Geburt dabei ist. Sie können der Frau viel mehr Zeit schenken, als wir es manchmal tun können. Uns liegt es deshalb sehr am Herzen, unser Wissen und die Erfahrungen an die Schülerinnen weiterzugeben. Schon alleine, weil sie sich dann hoffentlich von Schülerinnen zu unseren Kolleginnen entwickeln. Wir freuen uns über junge, motivierte Menschen, die Lust haben etwas zu verändern und für den Berufsstand zu kämpfen.