Ich hatte das Glück, dass man mich direkt übernommen hat, was zu der Zeit nicht selbstverständlich war. 1991 gab es noch deutlich mehr Pflegepersonal auf dem Markt als zu besetzende Stellen. Im BK konnte ich drei Wunschstationen angeben. Bei mir stand die A2 (Intern und Augen) auf Platz eins, danach kam die Intensivstation und auf meinem persönlichen Platz drei war die Station 18 für Gynäkologie und Geburtshilfe. Mein Wunsch wurde tatsächlich erfüllt und somit war ich zusammen mit dem Team der A2 für 30 internistische Patienten und 12 "Augenpatienten" zuständig. Die Augenpatienten sind montags gekommen, wurden dienstags operiert und in der Regel freitags wieder entlassen. Interne Patienten lagen damals noch deutlich länger bei uns und fast alle Patienten hatten Bettruhe. Die A2 war somit eine sehr pflegeintensive Station. Trotzdem denke ich gern an die Zeit zurück. Das Team war einmalig und hat so unglaublich viel Spaß gemacht. Auch wenn manch einer unseren schrägen Humor nicht verstanden hat.
(lacht)
Warum dann der Wechsel in die Frauenklinik?
Ende 1995 hat mich Lutz Blume, der damalige Pflegedirektor, gefragt, ob ich mir vorstellen könnte auf die Intensivstation zu wechseln. Schließlich hatte ich die Intensiv damals auf Platz zwei der Wunschstationen angegeben. Für die Intensiv suchte man händeringend Personal. Da ich generell ein Mensch bin, der gern Dinge ausprobiert, sagte ich zu. Allerdings musste ich schnell feststellen, dass ich nicht für die Intensivstation geschaffen bin. Zu dieser Zeit sind in meinem privaten Umfeld einige Menschen verstorben. Dazu kamen der eine oder andere Sterbefall auf der Station und die dunkle Jahreszeit. Das war einfach nichts für mich. Ich wechselte deshalb auf die 18, die Station für Gynäkologie und Geburtshilfe. Da hatte ich nach der Intensivstation richtig Lust zu. Der Umgang mit den jungen Eltern und den Neugeborenen und zusätzlich die Abwechslung durch ältere Patientinnen war eine tolle Mischung und sozusagen Balsam für meine Seele. Und ich wusste, dass auch da ein richtig tolles Team am Start war.
Frau Köhler, nun sind Sie nicht nur Krankenschwester, sondern auch Mutter. Wie ließen sich Job und Familie bei Ihnen vereinbaren?
Richtig, ich habe zwei Töchter. Meine erste Tochter ist 1999 geboren. Eigentlich war es kein guter Zeitpunkt, um schwanger zu werden, da 1998 die Frauenklinik umgebaut wurde und sich alle Mitarbeiter neu bewerben mussten. Beim Vorstellungsgespräch war ich frisch schwanger. Ich wollte unbedingt auf meiner Station bleiben und ein Umbau ist immer eine spannende Sache. Also habe ich acht Wochen nach der Geburt meiner Tochter mit 100 Stunden im Monat wieder angefangen zu arbeiten. Das ließ sich gut regeln, da meine Mutter in der Woche auf Antonia aufgepasst hat und in meiner Nachtschicht oder am Wochenende hat sich mein Mann gekümmert. Und wir hatten die Schweigereltern im Haus. Also das perfekte Team rund um das Enkelkind. Natürlich war es eine anstrengende Zeit, da sich mit dem ersten Kind auch das komplette Leben verändert. Aber es war wirklich gut machbar. Und trotz Arbeit habe ich ein halbes Jahr gestillt.
Zwei Jahre später sind Sie zum zweiten Mal Mama geworden. Sind Sie beim zweiten Kind länger zu Hause geblieben?
Eigentlich wollte ich ein Jahr zu Hause bleiben. Eigentlich. (lacht)
Ich hatte durch Zufall meine Gruppenleiterin in der Stadt getroffen. Und die Station brauchte händeringend Personal. Wie das ja immer so ist. Ich kann halt nicht „Nein“ sagen und somit bin ich nach drei Monaten wieder arbeiten gegangen – allerdings nur mit 42 Stunden, also sechs Tage im Monat. Das hat auch mit zwei Kindern gut geklappt. Meine Kinder sind mit meinem Beruf groß geworden und manchmal muss man Dinge einfach nur gut verkaufen. Ich habe meinen Kindern zum Beispiel erklärt, dass der Weihnachtsmann ja nicht alles abends schaffen kann und deshalb kommt er manchmal morgens oder auch erst am nächsten Tag. Schließlich lässt sich die Welt nicht an einem Abend bereisen. Das klang für meine Kinder durchaus logisch. (lacht)
Sind Ihre beiden Töchter hier im BK geboren?
Na logo. Natürlich überlegt man, wie das wohl ist, wenn man sein Kind bekommt und die Kollegen um einen rum sind. Die sehen einen in einer Situation, die einem irgendwo unangenehm ist. Aber meine Hebamme kam auch aus dem BK und ich kannte das komplette Team im Kreißsaal. Das gibt einem schon ein anderes Gefühl, als wenn man in einem Krankenhaus entbindet, in dem man niemanden kennt. Ich würde es auch immer wieder so machen. Meine Kolleginnen waren alle um mich herum und haben mich unterstützt. Das ist wie Familie.
Sie sind Vollblut-Krankenschwester, richtig?
Ja, definitiv. Ich habe auch in meiner großen Verwandtschaft beziehungsweise bei mir im Dorf den einen oder anderen, um den ich mich kümmere. Wenn irgendwer etwas hat, bin ich meist die erste Anlaufstelle. Sei es die Hilfe bei der Thrombosespritze oder einen Verbandswechsel. Ich nehme mir immer mal wieder vor, als „private Krankenschwester“ etwas kürzer zu treten. Aber dann erzählt mir jemand etwas und plötzlich höre ich meine Stimme, die sagt: „Du, wenn Du was hast oder Du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ Also der Begriff „Vollblut-Krankenschwester“ trifft es ganz gut.
Sie haben eine Weiterbildung zur Breast Nurse gemacht. Viele können sich nichts unter dieser Berufsbezeichnung vorstellen.
Ja, der Begriff ist für die meisten Menschen etwas gewöhnungsbedürftig und kaum jemand kann sich etwas darunter vorstellen. Aber den deutschen Begriff „Brustschwester“ finde ich nicht grade besser. (lacht)
Die meisten Menschen denken, dass Breast Nurses sich dem Thema Stillen und Pflege rund um das Wochenbett widmen. Das ist es nicht. Wir Breast Care Nurses kümmern uns um Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind. Als zertifiziertes Brustzentrum, wie wir es im BK sind, sind Breast Care Nurses Pflicht. Mit der Etablierung dieser Berufsgruppe hat man erkannt, wie wichtig es ist, Frauen eine kontinuierliche und individuelle Betreuung anbieten zu können. Im Idealfall betreuen wir die Frauen vom Erstkontakt in unserem Brustzentrum, über die Diagnosestellung bis hin zu den sich daraus ergebenden Behandlungen. So können wir Ihnen das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein. Das bezieht sich nicht nur auf die organisatorischen Abläufe. Wir sind auch Ansprechpartner für Sorgen und Fragen, die sich im Laufe der Behandlung und des Heilungsprozesses ergeben. Wir stehen den Frauen in jeder Phase mit Rat und Tat zur Seite.
Wenn die Frauen bei uns im BK operiert werden, besuchen meine Kollegin oder ich sie in den ersten Tagen auf Station. Es gibt eine Idee aus Amerika, die wir übernommen haben: Mit Herzen gegen Schmerzen. Ein Kissen in Herzform soll nach der Operation helfen, den Druckschmerz etwas zu lindern. Über diese Geste mit dem Kissen freuen sich viele der Frauen. Oft ist es der Moment, der hilft, einen Zugang zu der Patientin zu finden. Eine Symbolik, die zeigen soll, dass die Frauen nicht allein sind.
Das Thema Brustkrebs liegt mir persönlich sehr am Herzen. Weil die Früherkennung bei Brustkrebs das A und O ist, habe ich hier bei uns auch die MammaCare-Methode eingeführt bzw. in diesem Bereich eine weitere Ausbildung gemacht. Diese Methode ist die weltweit einzige, wissenschaftlich anerkannte zur Selbstuntersuchung der Brust und hat international verschiedene Präventionspreise erhalten. Durch diese Methode können Frauen und Männer durch systematisches Ertasten darauf „trainiert“ werden, eine Veränderung der Brust selber zu erkennen. Ich biete hier im BK diese Kurse an. Ich möchte aber auch betonen, dass diese Methode natürlich nicht die Vorsorgeuntersuchung beim Arzt ersetzt.
Sie sagen es: Früherkennung ist das A und O. Aber wenn ich ehrlich bin, ich verlasse mich auch auf die Vorsorge beim Frauenarzt. Ich persönlich habe ehrlich gesagt Angst, dass ich selber Knoten finde und mich dann verrückt mache.
Damit sind Sie nicht allein, es geht vielen so. Tastet man selber die Brust ab, begibt man sich theoretisch auf die Suche nach einer Krankheit. Spüren Frauen einen Knubbel in der Brust, hoffen viele darauf, dass er von allein wieder verschwindet. Viele verdrängen diesen Knubbel sogar so lange, bis er deutlich größer geworden ist. In den MammaCare-Kursen merke ich, dass die meisten Frauen verunsichert sind, weil sie nicht wissen, wie sich eine Brust anfühlt. Was ist normal und was könnte wirklich ein Knoten sein. Jede Brust fühlt sich anders an. Sie fühlt sich in der Mitte anders an als außen. Lernt man aber, wie sich die eigene Brust anfühlen muss, kann man auch Veränderungen erkennen. In den MammaCare-Kursen geben wir den Frauen mit auf den Weg, dass sie im besten Fall alle vier Wochen die Brust abtasten sollten. Aber selbst, wenn sie es nur sechs Mal im Jahr machen, ist es immer noch besser als nur bei der Krebsvorsorge.
Besonders toll finde ich, dass das Thema „Vorsorge und Gesundheit der Mitarbeiter“ auch in Unternehmen einen immer höheren Stellenwert bekommt. Viele Verbände und Unternehmen buchen mich zum Beispiel für Vorträge. Und ich kann nur jeder Frau und jedem Mann sagen: Vorsorge ist die wichtigste Sorge.
Frau Köhler, was war Ihr schönster Moment in Ihrem Berufsleben?
Da gibt es so viele. Für mich ist jeder Moment schön, wenn ich sehe, dass es Patienten besser geht. Vor allem, wenn es Patienten sind, bei denen es vielleicht nicht so gut aussah. Wenn diese dann über den Berg sind und sie zu einem kommen, um sich zu bedanken, kämpfe ich wirklich mit den Tränen. Und genau diese Momente sind mein Antrieb. Die machen meinen Job aus.
Waren Sie in Ihren 32 Jahren nie an dem Punkt, wo sie überlegt haben, etwas anderes zu machen?
Vor fünf oder sechs Jahren hatte ich mal ganz kurz einen Punkt, wo in mir Zweifel hochgekommen sind. Ein kurzer Moment, wo ich dachte, dass ich das alles nicht mehr aushalte. Jeder kennt diese Tage, an denen so viel um einen rum passiert und man hat das Gefühl nicht mehr durchatmen zu können. Ich hatte zu der Zeit gleich mehrere Tage hintereinander, die so waren. Und ja, da dachte ich, dass die Zeit gekommen ist, etwas anderes zu machen. Aber dann gibt es die Kollegen, die Patienten, die Besucher, die einen den Tag retten und die Gedankenwelt wieder in die positiven Bahnen lenken. Da wusste ich, dass es für mich einfach keinen besseren Job gibt. Na klar, der Schichtdienst nervt, aber auf der anderen Seite muss es die Menschen geben, die an den Wochenenden, an Feiertagen, am Abend und in der Nacht für andere da sind.
Was war Ihr schlimmster Moment?
Das sind leider auch mehrere. Immer dann, wenn Schwangerschaften nicht positiv verlaufen, bleibt für einen Moment die Welt stehen. Das sind für mich die schlimmsten Momente. Das finde ich ganz furchtbar. Dann laufen bei mir auch die Tränen, sobald ich das Zimmer verlassen habe.
Generell ist das „Sterben“ in unserem Beruf ein schwieriges Thema. Meist versterben bei uns Menschen, die schon ein hohes Alter haben und oft sehr krank sind. Oft ist der Tod für diese Patienten eine Erlösung. Jedenfalls tröste ich mich immer damit, dass ich denke, dass es den Menschen jetzt an dem neuen Ort besser geht. Ich weiß aber noch heute den Namen des ersten Patienten, der auf meiner Station verstorben ist. Ich weiß auch noch genau, wie der Patient ausgesehen hat. So etwas vergisst man nicht.
Worin tanken Sie Kraft nach einem anstrengenden Dienst?
Mein Ausgleich ist eigentlich schon die Heimfahrt. Da höre ich ganz laut Musik. Am liebsten Robbie Williams. Und wenn ich nach Hause komme, gönne ich mir zehn Minuten auf dem Sofa, um abzuschalten. Mein Mann und ich sind sehr gesellige Menschen, wir unternehmen viel mit Freunden und haben oft Besuch. Und deshalb dreht sich zu Hause auch nicht alles um die Arbeit.
Was würden Sie machen, wenn Ihnen ein anderes Krankenhaus 10.000 Euro bietet, damit Sie den Arbeitgeber wechseln?
Na ganz klar, ich würde die 10.000 Euro nehmen und da anfangen. Aber ich würde nach einem halben Jahr kündigen und zurück ins BK gehen. (lacht)
Nein, ich könnte das BK gar nicht verlassen. Ich bin schon so lange hier, ich kenne hier so viele Leute und ich glaube, dass es diese familiäre Atmosphäre so nicht woanders gibt. Ich bin nicht hochkatholisch, aber das christliche Miteinander, wie wir es hier leben, gibt mir persönlich viel. Ich würde hier nicht weggehen wollen. Und außerdem freue ich mich jetzt auf unseren Neubau und hoffe sehr, dass ich davon noch so viel wie möglich mitbekomme.
Und ich liebe mein „Seniorenteam“ auf der F1.
Ihr Seniorenteam?
Ja, wir haben aktuell noch zwei Leute unter 30 bei uns im Team. Wir anderen sind alle um die 50 oder 60 und somit hoch „klimakterisch“: Fenster auf, weil die einen Hitzewallungen haben. Fenster zu, weil die anderen frieren. (lacht) Wir nehmen es mit Humor und wir freuen uns immer, wenn die Schüler zu uns auf die Station kommen und etwas Schwung in die Bude bringen. Also liebe Leute da draußen: Wir brauchen euch! Wir machen für euch auch das Fenster zu und die Stimmung ist hier echt dufte.