Und wie sah Ihr Weg bis zum Kreißsaal aus?
Ich komme ursprünglich aus Hamburg und habe 2010 mein Abitur gemacht. Ab diesem Zeitpunkt ging der Kampf um einen Ausbildungsplatz als Hebamme los. In Hamburg waren es jedes Jahr 1.200 Bewerber auf 20 Ausbildungsplätze. Eigentlich muss man sich bei diesem Berufswunsch deutschlandweit bewerben, aber ich war kurz nach dem Abi einfach noch nicht mutig genug, allein in eine fremde Stadt zu ziehen.
Also habe ich nach meinem Abitur für eineinhalb Jahre mein Leben genossen, gejobbt, diverse Praktika gemacht und mich weiterhin beworben. Aber dann musste Plan B her: Was kann ich tun, um auf dem Ausbildungsmarkt interessanter zu werden? Und so habe ich mich für eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten in einer gynäkologischen Praxis entschieden.
Sie haben also eine Ausbildung gemacht, um einen anderen Ausbildungsplatz zu kommen?
Richtig. Für mich gab es nichts anderes als Hebamme zu werden. Auch wenn es eine harte Zeit war. Aber ich hatte zum Glück Eltern, die mich nicht nur finanziell, sondern auch mental unterstützt haben. Und nach meiner ersten Ausbildung war ich auch bereit für meinen Traum in eine andere Stadt zu ziehen. Somit habe ich 2014 die Ausbildung zur Hebamme in Hildesheim begonnen. Mit 26 Jahren war ich dann endlich da, wo ich sein wollte. Der Tag meines Examens war der schönste Moment in meinem Leben. Ich war so stolz, dass ich diesen Weg gegangen bin, niemals aufgegeben habe und für meinen Wunsch gekämpft habe. Auch mein Vater war zu Tränen gerührt und voller Stolz.
Wollten Sie nach der Ausbildung nicht zurück nach Hamburg?
Doch, ich wollte schon gern zurück zu meiner Familie und meinen Freunden. Hinzu kommt, dass Hamburg im Bereich der Geburtshilfe natürlich mehr zu bieten hat. In Hildesheim gibt es zwei große Kliniken mit Kinderklinik. Ich hätte mir nach meiner Ausbildung auch etwas „Romantischeres“ vorstellen können, zum Beispiel ein Geburtshaus. Aber in Hildesheim habe ich begonnen meinen Traum zu leben, und ich habe mich während meiner Ausbildung nicht nur in die Stadt verliebt. Ich bin hier sehr glücklich und bleibe deshalb hier.
Wie ging es nach Ihrer Ausbildung für Sie weiter?
Aus meinem Kurs hat das BK fünf Hebammen fest eingestellt. Seit dem Examen arbeite ich Vollzeit im Kreißsaal und bin zusätzlich freiberuflich unterwegs.
Das heißt, dass Sie neben Ihrem Beruf auch noch in der Freizeit Hebamme sind?
Ja, ich bin in der Tat Vollblut-Hebamme. Ich habe sozusagen meine Passion zum Beruf gemacht. Ich bin noch jung und Berufsanfängerin. Deshalb möchte ich so viel wie möglich ausprobieren. Mit meiner freiberuflichen Tätigkeit kann ich die Frauen ganzheitlich betreuen und begleiten. Besonders schön ist es, dass ich die Familien manchmal von der Schwangerschaft über die Geburtsvorbereitung bis hin zur Geburt und anschließend im Wochenbett betreuen kann. Durch die unterschiedlichen Phasen bekommt man einen größeren Blickwinkel und ein anderes Bild der Geburtshilfe, was mir im Kreißsaal nützt.
Dadurch, dass ich einen Einblick bekommen darf, vor welchen Herausforderungen die Familien stehen, wenn sie zur Geburt kommen oder wenn sie nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause gehen, kann ich bereits im Kreißsaal ganz anders auf die Familien eingehen. Man kann besser einschätzen, was sich noch entwickeln muss und wo man vielleicht noch einmal einen Fokus setzen sollte, um diese Familie im Ganzen zu stärken. Bei der Geburt, aber vor allem in der Zeit danach.
Sie arbeiten im Schichtdienst. War das für Sie eine große Umstellung?
Nein, mein Vater ist Feuerwehrmann und hat bis zu seiner Pensionierung immer im Schichtdienst und an Feiertagen gearbeitet. Ich kannte das also. Und ich persönlich mag den Schichtdienst total gerne. Ich habe mal nachmittags frei oder vormittags meine Ruhe, wenn alle anderen arbeiten. Oder ich habe in der Woche frei und kann gemütlich durch die Stadt bummeln. Wenn ich aus dem Nachtdienst nach Hause komme, freue ich mich auf mein Bett, während alle anderen genervt mit dem Rad oder dem Auto zur Arbeit fahren.
Was ist das Besondere an Ihrem Beruf?
Ich würde es so beschreiben: Ich bin wie ein Geist. In der Regel bin ich im Raum und beobachte, wie eine neue Familie entsteht. Oft muss ich gar nicht aktiv werden, da das Team aus Frau und Mann so stark ist, dass ich als „fremde Person“ eher den schützenden Geist spiele. Für mich ist es wie Magie zu sehen, wie Frauen sich während der Wehen verändern und diesen Kampfgeist entwickeln. Der dann, wenn das Baby zur Welt kommt, in Harmonie und Ruhe übergeht. Ich genieße es immer wieder aufs Neue, dieser besonderen Situation beizuwohnen.
Aber natürlich „zeige“ ich mich, wenn es gewünscht oder notwendig ist und bin präsent. Dann kämpfen wir gemeinsam für die Geburt. Ich bin dann der Beschützer, Motivator und der Fanclub zugleich.
In Ihrem Beruf erleben Sie ganz unterschiedliche Charaktere im Ausnahmezustand. Ist es für Sie eine Herausforderung, sich immer wieder auf unterschiedliche Menschen und Situationen einzustellen?
Für mich nicht. Ich versuche jede Geburt so individuell, wie es auch die werdende Mutter ist, zu gestalten. Ich finde es angenehm aufregend, wenn ich die Tür öffne und die Frau noch nicht kenne. Für mich macht genau das den Reiz aus. Ich mag keinen monotonen Beruf, wo jeder Tag dem anderen ähnelt. Ich liebe es, diese verschiedenen Charaktere kennenzulernen und sie durch den „Ausnahmezustand“ zu begleiten.
Generell bin ich eher ein introvertierter Mensch. Ich beobachte die Menschen und versuche aus ihnen zu lesen, damit ich weiß, wie ich mich bestmöglich auf sie einstellen kann. Ich bin wie ein kleines Chamäleon und kann mich anpassen. Ich kann präsent sein, mich aber auch im Hintergrund halten.
Als Hebamme sind Sie wahrscheinlich eine sehr begehrte Frau. Mussten Sie Schwangeren schon absagen?
Ich bin als Hebamme nicht auf irgendwelchen Listen oder im Internet zu finden, da es in der Tat so ist, dass ich nicht genügend Kapazitäten habe. Ich sehe mich eher als Notlösung, wenn keine meiner Kolleginnen mehr Kapazitäten haben. Somit läuft das bei mir eher über Mund-zu-Mund-Propaganda. Aber leider besteht auch mein Tag nur aus 24 Stunden und da ich für alle Frauen mir die nötige Zeit nehmen will, muss auch ich manchmal Frauen ablehnen, was mir sehr leidtut. Schließlich weiß ich in dem Moment, dass ich eigentlich schon ihre Notlösung war.
Was viele nicht wissen, ist, dass die Nachsorgen nur ein Teil meines freiberuflichen Daseins ausmachen. Ein anderer Part sind die Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse. Ich bin Vollzeit im BK angestellt und muss mir somit meine freiberufliche Tätigkeit gut einteilen und planen. Es gibt Tage, da bin ich acht Stunden im BK und besuche anschließend zwei bis drei Frauen zur Nachsorge und in der Schwangerschaft zum Kennenlernen. Jeden Dienstag gebe ich von 18 bis 21 Uhr Rückbildungskurse und ab und zu biete ich an meinen freien Wochenenden Geburtsvorbereitungskurse an.
Als jemand, der „nur“ seinen normalen Job macht, frage ich mich natürlich, warum man das macht?
Lacht. Ganz einfach, weil ich meinen Job wirklich liebe. Von ganzem Herzen. Für mich ist es eher eine Leidenschaft, die mir natürlich meinen Lebensunterhalt finanziert. Mein Vorteil ist, dass ich momentan noch keine anderen Verpflichtungen habe und mein Partner voll hinter mir steht.
Ihr Beruf bringt unheimlich viele schöne Momente mit sich. Aber es gibt natürlich auch andere Situationen.
Als Hebamme muss man sich darüber im Klaren sein, dass man nicht die Welt retten kann. Ich kann nur versuchen, der Frau, der Familie und dem Baby den bestmöglichen Start zu geben und die Mutter, beziehungsweise die Eltern darauf vorzubereiten. Es kommt zum Beispiel vor, dass eine junge Frau mit Bauchschmerzen zu uns kommt und sich dann herausstellt, dass es Wehen sind und sie eine Stunde später ihr Kind gebärt. Natürlich fragt man sich dann, wie das werden soll. Aber ich glaube, dass man, wenn man diesen jungen Frauen die Geburt und die ersten Stunden schön gestaltet, eine gute Basis schaffen kann. Zudem bekommen sie Unterstützung von anderen Berufsgruppen, die wie ich ihre Arbeit gut machen müssen. Darauf muss ich vertrauen. Als Hebamme muss ich wissen, wo mein Kompetenzbereich beendet ist. Nicht umsonst gibt es zum Beispiel Familienhebammen, die Eltern in schwierigen Situationen betreuen.
Und natürlich gibt es auch die Tage, an denen wir Frauen begleiten, die ihr Kind nicht lebend oder krank zur Welt bringen. Das sind Momente, die einen sehr traurig machen. Uns als Hebammen ist es hier besonders wichtig, den Frauen beizustehen und ihnen den Raum und die Zeit zu geben, die sie brauchen.
Wie gehen Sie mit Schicksalsschlägen um, wenn zum Beispiel eine Geburt nicht planmäßig verläuft?
In diesen Momenten ist es wichtig, dass man ein gutes Team hat, mit dem man sich austauschen kann. Wenn wir zum Beispiel einen Notkaiserschnitt haben, der dramatisch war, tauschen wir uns anschließend mit dem gesamten Team, das dabei war, aus. Man geht den Verlauf Schritt für Schritt noch einmal durch und bespricht jede Entscheidung, jedes Ergebnis bis ins kleinste Detail. Diese Reflektion ist wichtig, um zum einen dazuzulernen und zum anderen auch die Bestätigung zu bekommen, dass wir alles richtiggemacht haben.
Gerade als Berufsanfängerin ist es wichtig, dass man ein gutes Team um sich hat und aufgefangen wird. Es gibt Zeiten, in denen man an sich zweifelt und sich fragt, ob man vielleicht doch im falschen Beruf ist. Und da braucht es Kollegen, die einem eine ehrliche Einschätzung geben. Nur so kann man wachsen und verstehen, dass das Leben nicht immer nur von schönen Momenten geprägt ist und nicht jeder Verlauf sich von uns Menschen beeinflussen lässt. Man braucht sein Team, um für sich einen Abschluss zu finden, ansonsten gerät man in eine Gedankenspirale, aus der man nicht wieder so leicht rauskommt.
Kommen wir zu meiner Lieblingsfrage: Was ist für Sie das Besondere am BK?
Ich hatte nach meiner Schulzeit ein Praktikum in einem kirchlichen Krankenhaus in Hamburg gemacht. Da war der Umgang allerdings nicht so familiär wie hier. Hier im BK läufst Du über den Flur und siehst Menschen in Dienstkleidung. Du kennst diese Menschen nicht. Du weißt nicht, auf welcher Station sie arbeiten. Aber man lächelt sich an und wünscht sich einen schönen Tag. Oder zum Beispiel der Umgang bei uns in der Umkleide: Ich weiß nicht, wie die Leute heißen, die sich neben mir nackig machen, aber es fühlt sich an, als ob man sich kennt und man wechselt ein paar Worte.
Ich würde das BK mit einer großen Familie vergleichen. Auf Feiern trifft man den Schwippschwager und die Großcousins. Bei denen weiß man auch nicht, zu welchem Familienmitglied sie gehören. Aber man sagt sich „Hallo“ und es ist ein netter Umgang. Natürlich hat jeder von uns auch mal einen schlechten Tag. Aber ich komme wirklich gern hier ins Haus.
Wie wir bereits gelesen haben, ist Ihre Freizeit eher begrenzt. Aber gibt es trotzdem etwas, wo Sie Kraft tanken?
Ehrlich gesagt bin ich am entspanntesten, wenn ich vor dem Spätdienst aufstehe, gemütlich zu Hause auf meinem Balkon sitze und frühstücke. Ich liebe das. Und wenn ich das einmal in der Woche geschafft habe, bin ich glücklich. Das ist nur noch zu toppen, wenn mein Freund daneben sitzt und wir uns über Gott und die Welt unterhalten. Ich weiß, das klingt jetzt seltsam, aber meine Arbeit ist tatsächlich mein Ausgleich: Der Kreißsaal ist der Ausgleich zum Wochenbett, und die Kurse sind der Ausgleich zum Kreißsaal.
Würden Sie jungen Leuten den Beruf der Hebamme ans Herz legen?
In meinen Augen ist es der schönste Beruf, den man machen kann. Aber ich würde ihn tatsächlich nicht jedem empfehlen. Hebamme ist kein Job, den man wählen sollte, wenn man nach dem Abi denkt: Okay, was mache ich jetzt mit meinem Leben? BWL studieren oder was Soziales. Den Job Hebamme muss man aus tiefster Seele lieben und man muss dafür gemacht sein, sonst wird man auf Dauer nicht glücklich. Man gibt viel von sich und seinem Leben auf. Ich muss sozusagen von mir ein Stück abgeben, um für andere da zu sein.
Ich habe schon während meiner Ausbildung hier im BK jeden Moment gefeiert. Ich war so froh, dass ich die ganzen Hebammen begleiten und mir die unterschiedlichen Charaktere anschauen durfte. So konnte ich für mich herausfinden, was ich persönlich gut finde, was ich für mich übernehmen möchte und wo ich vielleicht nicht so dahinterstehe. Und das hat mich zu der Hebamme gemacht, die ich heute bin. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe.