Wenn ich mich für die Chirurgie entscheide, weiß ich nicht, ob mir das „Handwerk“ wirklich liegt. Ist das nicht ein erhebliches Risiko?
Ja, das ist leider das Problem an der medizinischen Ausbildung in Deutschland. Der Einstieg ist für Schüler mit einem guten Numerus Clausus einfach. Aber die Noten sagen nichts darüber aus, ob sie sich auch für das Fach eignen. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass sich erst mit dem Einstieg in die Praxis herauskristallisiert, dass das Studium für den einen oder anderen die falsche Wahl war. Ich habe einige junge Assistenzärzte erlebt, die feststellen mussten, dass ihnen die Chirurgie nicht liegt.
Ist einem im OP bewusst, dass ein Mensch vor einem liegt oder blendet man das teilweise aus?
Man muss es teilweise ausblenden. Nicht nur die Operation selber, sondern den Fall an sich. In der Onkologie behandelt man viele Patienten mit schweren Schicksalsschlägen. Ich bin mein halbes Leben in der Chirurgie tätig, und ich kann Ihnen sagen, dass es Patienten gibt, die einem für den Rest des Lebens im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel ein 13-jähriger Junge mit einem Dickdarmkrebs, der leider verstorben ist. Wir als Ärzte begleiten diese Patienten meist über einen längeren Zeitraum, und natürlich vergisst man so etwas nicht. Aber sie können nicht jeden Patienten emotional mit nach Hause nehmen. Einen gewissen Schutzmantel braucht man in diesem Beruf, sowohl im OP als auch im Umgang mit den Patienten, um nicht emotional kaputt zu gehen. Man darf allerdings nie die Empathie und die Demut verlieren.
Sie haben sich auf dem Gebiet „Peritonealkarzinose“ (Bauchfellkrebs) spezialisiert. Wie kam es dazu?
In der Chirurgie war ich schon immer im Bereich der Krebserkrankungen tätig. Meine Doktorarbeit habe ich über die Behandlung von Lebertumoren geschrieben. In einer Uniklinik sucht man sich in der Regel eine wissenschaftliche Nische. Bauchfellkrebs war zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig erforscht. Hinzu kam ein Schlüsselerlebnis, das ich als junger Assistenzarzt mit meinem damaligen Chef während einer OP hatte. Als wir den Bauch einer Frau Mitte 20, die an Magenkrebs erkrankt war, öffneten, mussten wir feststellen, dass das Bauchfell bereits mit Metastasen übersät war. Zu dem Zeitpunkt konnten wir der Patientin nicht helfen und mussten den Bauch wieder verschließen. In diesem Moment hat mein Chef zu mir gesagt: „Mensch Herr Pelz, dagegen müssen wir etwas finden.“ Und somit habe ich mir dieses Thema zur Aufgabe gemacht.
Bauchfellmetastasen sind sehr schwierig zu behandeln. Vor 20 Jahren haben Patienten mit dieser Diagnose eine Lebenserwartung von neun Monaten gehabt. Heute können wir ihnen aufgrund unserer weltweiten Forschungen im besten Fall drei Jahre schenken. Für Sie klingt das vielleicht nicht viel. Ich kann Ihnen aber aus Erfahrung sagen, dass dieser zusätzliche Zeitkorridor für viele sehr wichtig ist. Vielleicht kann der Patient noch das Enkelkind erleben oder die Tochter zum Traualtar führen. Wichtige Lebensereignisse, die den Patienten so viel geben. Ich kann die Patienten nicht retten, aber ich kann ihnen wichtige Zeit mit einer vernünftigen Lebensqualität ermöglichen. Für mich stehen immer der Patient und die Lebensqualität im Vordergrund. Ich operiere nicht, wenn zum Zeitpunkt der OP schon klar ist, dass es dem Patienten danach nicht deutlich besser gehen wird und er von der Operation profitieren kann.
Inwieweit hält man sich als Arzt, der die Krankheitsbilder kennt, an die Dinge, die man den Patienten predigt?
Es ist in der Tat bewiesen, dass Mediziner die schlechteren Patienten sind. Zum Beispiel der Lungenfacharzt, der selber raucht. Oder der Darmkrebsspezialist, der nicht zur Vorsorge geht. Ich selber gehe zu den Vorsorgeuntersuchungen, versuche mich bewusst zu ernähren, treibe Sport und höre in meinen Körper rein. Mir ist natürlich als Arzt bewusst, was ich selber steuern kann. Aber ich genieße auch das Leben und tue Dinge, die man vielleicht lieber lassen sollte – wie zum Beispiel häufig grillen.
Durch meinen Beruf wird mir jeden Tag bewusst, wie gut es mir geht. Jeder schimpft über Dinge in seinem Leben, regt sich über Kleinigkeiten auf oder ist unzufrieden. Man könnte noch mehr Geld verdienen, man könnte ein anderes Auto fahren und so weiter. Uns ist oft nicht bewusst, wie gut es uns geht, weil wir und unsere Kinder „einfach nur gesund sind“. Ich sehe jeden Tag die Schicksalsschläge: Krebs, Unfälle oder andere Erkrankungen. Und dann ist es doch Wahnsinn, wenn man wegen Kleinigkeiten diskutiert und sich aufregt, während andere um ihr Leben kämpfen.
Ich muss sagen, dass Sie einen beeindruckenden Lebenslauf haben. Sie waren 32, als Sie habilitiert haben. Das Durchschnittsalter liegt bei 41 Jahren. Hat Ihnen ein Doktortitel nicht ausgereicht?
Da gibt es für mich zwei Aspekte: Zum einen interessiert mich das wissenschaftliche Arbeiten. Zum anderen stehen einem mit einer Professur schlicht und ergreifend ganz andere Türen offen. Lehrkrankenhäuser, wie es auch das St. Bernward Krankenhaus ist, müssen eine gewisse Anzahl an habilitierten Chefärzten vorweisen.
War Chefarzt der Allgemeinchirurgie schon immer Ihr Karriereziel?
Ja, weil es in der onkologischen Chirurgie eigentlich nicht viele Alternativen gibt. Möglichkeit eins ist, sich als Arzt niederzulassen. Für einen Chirurgen wie mich, der auf die große Bauchchirurgie spezialisiert ist, würde das bedeuten, dass ich meinen eigentlichen Job nicht mehr ausüben könnte. Die zweite Möglichkeit ist, als Oberarzt in einem Krankenhaus zu arbeiten. Da könnte ich aber nicht so gestalten, wie ich es mir für mich und meinen Beruf vorstelle. Das ist nämlich dem Chefarzt vorbehalten. Und somit kam für mich nur die dritte Möglichkeit in Frage: Der Chefarzt, der mehr Manager und Organisator ist. Ich bin zwar aus vollem Herzen Chirurg, aber ich liebe es auch, zusammen mit einem Team neue Wege zu beschreiten, Prozesse von einem weißen Blatt Papier aus zu entwickeln und zu implementieren. Als Chefarzt kann ich diese beiden Leidenschaften vereinen.
Würden Sie sich als Karrieremensch beschreiben?
Nur bedingt. In gewisser Weise sicherlich, sonst würde ich heute nicht dort stehen, wo ich stehe. Ich bin diesen Weg aber nicht kompromisslos gegangen. Für mich ist zum Beispiel das Miteinander im Team wichtiger als eine Abteilung in einem großen Krankenhaus zu führen. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch – privat wie auch beruflich. Das Miteinander innerhalb meiner Abteilung, aber auch innerhalb des gesamten Hauses ist mir sehr wichtig. Ich brauche eine Wohlfühlatmosphäre, um einen guten Job zu machen.
Genau aus diesem Grund habe ich mich im Mai 2018 entschieden, an das St. Bernward Krankenhaus zu wechseln. Hildesheim und das BK kannte ich nicht. Ich hatte auch Niedersachsen nicht „auf dem Schirm“, da ich gebürtiger Berliner bin und 20 Jahre in Bayern gearbeitet habe. Mein damaliger Chef, der Professor Leifeld kennt, den Chefarzt der Gastroenterologie und Inneren Medizin am BK, hat mich auf Hildesheim gebracht, als das BK einen Chefarzt für die Allgemeinchirurgie suchte. Auf Einladung von Professor Leifeld habe ich zwei Tage im BK hospitiert. In der Zeit habe ich auch Professor Kaiser, den Leiter der Medizinischen Klinik II und des Onkologischen Zentrums kennengelernt sowie den ärztlichen Direktor Professor von Knobelsdorff und den Geschäftsführer Herr Fischer. Die zwei Tage waren durchweg positiv und sehr herzlich. Das hat mich überzeugt. Aber mir war es genauso wichtig, dass meine Frau in Hildesheim leben möchte. Also bin ich mit ihr und meiner kleinen Tochter für ein verlängertes Wochenende nach Hildesheim gefahren. Erst danach habe ich mich um die Stelle als Chefarzt für die Allgemeinchirurgie beworben.
Wird man auf den Job als Chefarzt vorbereitet?
Jein. Man wird zwar fachlich vorbereitet, aber es gibt nicht so etwas wie ein Führungskolloquium oder entsprechende Führungsseminare. Deshalb war es mir wichtig, mich weiterzubilden. Ich habe das berufsbegleitende Studium „Master of Arts Management für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen“ absolviert. Dazu hatte ich den Vorteil, als leitender Oberarzt an der Uniklinik Würzburg zwei Jahre lang eine etwas kleinere chirurgische Abteilung leiten zu dürfen. Sozusagen „Chef im Praktikum“ mit dem eigentlichen Chefarzt im Hintergrund. So bekommt man einen sehr guten Feinschliff und kann wichtige Erfahrungen sammeln.
Was hat sich für Sie als Chefarzt geändert?
Ein ganz wichtiger Punkt, der sich für mich geändert hat, ist mein Klinikalltag. Als Chefarzt werde ich nicht mehr gemanagt, sondern ich manage selber. Ich kann somit den Bereich der Chirurgie mitgestalten, was natürlich auch bedeutet, dass ich deutlich mehr Verantwortung trage, dadurch aber auch mehr Freiheiten genieße. Zu Zeiten der Facharztausbildung und Habilitation war an Freizeit nicht zu denken – da gab es für mich rund um die Uhr nur die Medizin. Das Privatleben leidet natürlich darunter, beziehungsweise braucht man einen sehr toleranten Partner. Ich habe erst spät eine Familie gegründet, weil es vorher für mich nicht machbar gewesen wäre. Jetzt habe ich den Luxus, dass ich abends noch Zeit mit meiner Tochter verbringen kann und etwas Luft habe, um meinen Hobbys nachzugehen.
Professor Pelz, was treibt Sie in Ihrem Beruf an?
Ich finde es spannend, mit unterschiedlichen Patienten und Krankheitsbildern zu tun zu haben. Jeder Tag ist anders. Zusammen mit meinem Team und den Kollegen aus anderen Abteilungen habe ich hier die Möglichkeit neue Konzepte für Patienten zu entwickeln. Fortbildungen, an denen wir regelmäßig teilnehmen, geben uns neue Impulse. Stillstand ist Rückschritt, das gilt für die Medizin noch mehr als für andere Bereiche. Neben den Patienten ist meine Motivation mein Team, das genauso für die Sache brennt wie ich. Ich kann mich zu 100 Prozent auf sie verlassen, und bei uns wird viel gelacht. Es macht einfach Spaß. Ich habe das Glück, dass ich mir mein Team nach meinen Vorstellungen zusammenstellen konnte. Da warte ich auch gern einige Monate auf den perfekten Mitarbeiter. Der letzte Wunschkandidat kommt im Oktober und dann sind wir komplett. Ich freue mich drauf.
Und was ist Ihr Ausgleich zum Berufsalltag?
Mir sind Hobbys und mein familiäres Umfeld sehr wichtig, genau das ist mein Ausgleich. Mein Fokus ist natürlich die Medizin, und wenn man dazu noch Familie hat, bleibt nicht mehr ganz so viel Raum. Freunde, die bei mir meist nicht aus dem medizinischen Bereich kommen, sind mir wichtig. Denn so kommt man nicht nur auf andere Gedanken, man bekommt auch andere Blickwinkel. Ich möchte als Mensch wahrgenommen werden, nicht als Chefarzt Professor Pelz.
Sie sind seit Mai letzten Jahres bei uns im BK. Was unterscheidet unser Haus von anderen Häusern?
Nach dem, was ich in anderen Krankenhäusern gesehen habe, würde ich sagen, dass der „Kahn BK“ in die richtige Richtung fährt. Er muss vielleicht an manchen Stellen ab und an justiert werden, aber grundsätzlich fährt er routiniert und die Stimmung an Bord ist sehr gut. Auch auf Führungsebene. Da wird nicht nur gemeinsam an einem Strang gezogen, sondern es wird gelacht und Scherze gemacht. Das Besondere am BK ist, dass es kein zahlengetriebenes Haus ist, in dem man sich jeden Monat vor der Geschäftsführung rechtfertigen muss. Mir macht die Arbeit hier sehr viel Freude. Ich würde es mit den Worten meines alten Chefs beschreiben: Dieses Haus ist ein Schmuckkästchen. Hier findet man einige Brillanten. Zum Beispiel die Kombination von meinen beiden Kollegen: Professor Leifeld und Professor Kaiser. Diese Kompetenz im onkologischen Bereich finden sie nicht in jeder Großstadt. Wenn Professor Leifeld eine Fortbildungsveranstaltung gibt, ist das nicht nur qualitativ ganz großes Kino, sondern auch die Besucher sind unglaublich. Da kommen Gäste, die sonst nur als Referenten solche Veranstaltungen besuchen. Das habe ich in 20 Jahren an der Uniklinik nicht erlebt. Somit kann ich voller Überzeugung sagen, dass ich hier im BK genau richtig bin.