Das denken viele, weil ich jeden Tag „einfach nur Blut abnehme“. Für manche Kollegen wäre der Beruf vielleicht auch langweilig. Aber nicht für mich. Ich würde es gegen nichts eintauschen. Denn ich weiß, dass ich mit meiner Arbeit zum einen die Kollegen auf der Station entlaste, und zum anderen ist jeder Patient anders und hat eine Geschichte. Mich haben schon Patienten in den Arm genommen. Das sind die Momente, die meinen Beruf besonders machen. Und es gibt Patienten, die dein Leben verändern.
Durch das Blut abnehmen?
Ja, denn oft begleite ich Menschen über einen längeren Zeitraum. Wissen Sie, ich bin getauft und auch konfirmiert. Aber ich konnte früher nie so richtig sagen, ob ich an Gott glaube. Ich war mir immer sehr unschlüssig, was genau mit uns nach dem Tod passiert. Und dann gab es diese eine Patientin, die meine ganze Gedankenwelt auf den Kopf gestellt hat.
Diese Patientin, eine ältere Dame, habe ich über einen langen Zeitraum begleitet. Ich war täglich bei ihr zum Blutabnehmen. Das war während der Sommerferien und ihre Familie war im Urlaub. Deshalb hatte sie zu der Zeit keinen Besuch, und so begann ich sie nach meinem Feierabend auf Station zu besuchen. Sie war eine so herzliche Dame, die mir sehr schnell ans Herz gewachsen ist. Sie hat mir viel von ihrem Leben erzählt. Unter anderem auch, dass ihr Mann schon vor einiger Zeit verstarb. Sie hat aber nie den Kopf hängen lassen und ihr Leben allein gemeistert. Irgendwann kam leider der Zeitpunkt, ab dem es ihr immer schlechter ging und es sich abzeichnete, dass die Tage gezählt sind. Natürlich weiß ich durch meinen Job, dass für jeden irgendwann die Zeit gekommen ist. Aber auch ich bin nur ein Mensch und kann mein Herz nicht ausschalten. Es hat mich unheimlich traurig gemacht.
Eines Morgens, als ich wieder zum Blutabnehmen bei ihr war, war sie sozusagen nur noch „halb“ da. Ich würde dazu sagen, dass sie sich schon im „Übergang“ befand: Sie war nicht mehr ganz bei uns, aber sie war auch nicht im Jenseits. Also habe ich mich zu ihr an die Bettkante gesetzt und ihre Hand gehalten. Ich bin davon überzeugt, dass die Patienten mich hören und wahrnehmen – ganz egal, in welchem Zustand sie sich befinden. Und so habe ich zu ihr gesagt, dass ich dankbar bin, dass sie in mein Leben getreten ist. Eine so tolle und herzliche Frau. Nachdem ich diese Worte zu ihr gesprochen habe, hat sie meine Hand gedrückt. Ich war richtig erschrocken, weil sie plötzlich reagiert hat. Mit geschlossenen Augen sagte sie ganz leise: „Mein Mann, der ist jetzt hier. Der holt mich jetzt ab. Es ist alles gut. Wir sind endlich wieder zusammen.“
Mir kommen noch heute die Tränen, wenn ich davon erzähle. Und seitdem ist für mich klar, dass da etwas ist nach dem Tod. Dass da nicht „Nichts“ ist. Für mich war das eine ganz besondere Erfahrung. Ich bin überglücklich, dass ich in dem Moment für sie da sein konnte und ich sie auf dem Weg begleiten durfte. Wissen Sie, wenn Menschen sterben, ist dies der schlimmste Moment in unserem Beruf. Aber ich finde, jeder Mensch hinterlässt Fußabdrücke in unserem Leben, auch wenn man diese Menschen nur sehr kurz erlebt. Man lernt von diesen Menschen etwas über das Leben und indirekt auch etwas über sich selbst.
Im BK sind Sie erst etwas mehr als ein Jahr. Wie sah Ihr berufliches Leben davor aus?
Ich habe nach der Realschule zunächst einen Ausbildungsvertrag bei einem Augenoptiker unterschrieben. Als ich mich bewerben musste, war ich 16 Jahre alt und hoffnungslos überfordert. Ich wusste, dass ich nicht mehr zur Schule gehen wollte. Meine Mama hat dann mit ihrer liebevollen Strenge gesagt, dass gar nichts machen gar nicht geht. Also blieb nur die Ausbildung. Und ab da ging planlos der Plan los. Meine Generation ist frei und hat so viele Möglichkeiten. Ein absoluter Luxus, aber es ist Fluch und Segen zugleich. Man hat unendlich viele Möglichkeiten, viele Möglichkeiten kennt man nicht einmal – und dann heißt es, dass man eine Entscheidung fürs Leben treffen soll.
Wie haben Sie sich entschieden?
Entschieden ist vielleicht das falsche Wort. Ich habe mich ausprobiert. Zunächst war ich im Berufsinformationszentrum. Ich habe die Tests gemacht, die Berufsvorschläge mit den Berufsberatern diskutiert und war, ehrlich gesagt, enttäuscht, da ich das Gefühl hatte, dass sie mich nicht als Mensch wahrnehmen, sondern eher schauen, wo ein junger Mensch die meisten Möglichkeiten hat und wo es viele offene Lehrstellen gibt. Also habe ich mich mit mir selbst auseinandergesetzt und darüber nachgedacht, was mir Spaß macht und was ich gut kann. Da ich früher immer gern mit meinem Opi gewerkelt habe und mir die filigrane, handwerkliche Arbeit liegt, bin ich auf das Berufsbild der Augenoptikerin aufmerksam geworden. Ich war mir sicher, dass das der passende Beruf für mich ist. Also habe ich mich wild beworben und in einem Betrieb Probe gearbeitet. Je näher aber der Ausbildungsbeginn rückte, umso unruhiger wurde es in mir. Ich war mir mehr und mehr unsicher, ob es wirklich das Richtige für mich ist. Mit 16 ist man aber auch noch nicht soweit, dass man klar erkennen kann, welchen Weg man gehen sollte.
Was haben Sie dann gemacht?
Ich bin dann tatsächlich noch einmal in das Berufsinformationszentrum gegangen und habe mit einer Beraterin gesprochen und ihr meine Lage erklärt. Eine tolle Beraterin, die sich viel Zeit genommen hat. Das Ende vom Lied war, dass ich mit einem ganzen Stapel an Ausbildungsstellen nach Hause gegangen bin und diese durchgearbeitet habe. Und so bin ich auf die Stelle MFA (Medizinische Fachangestellte) beim Berufsgenossenschaftlichen und Arbeitsmedizinischen Dienst aufmerksam geworden und habe diese acht Wochen vor Ausbildungsbeginn in der Tasche gehabt.
Aber dann kam der Klopfer: Plötzlich wurde mir bewusst, dass ein großer Teil meiner Arbeit das Blut abnehmen sein wird. Und das, wo ich doch gar kein Blut sehen kann. Als mir das erste Mal in meinem Leben Blut abgenommen wurde, bin ich in Ohnmacht gefallen. Danach hatte ich regelrecht Angst vor Nadeln. Wie sollte das nur in der Ausbildung funktionieren? Ich hatte solche Angst. Völlig unbegründet, wie ich feststellen musste, denn die Angst, die uns oft lähmt, befindet sich nur in unserem Kopf. Und in meinem Fall hat sich meine Angst zu meinem Talent entwickelt. Und daher ist das auch meine Message: Dinge, vor denen man die größte Angst hat, können sich zu etwas Großartigem entwickeln, wenn man sich traut, sie auszuprobieren.
Sind Sie nach Ihrer Ausbildung in dem Betrieb geblieben?
Nein, nach meiner Ausbildung war für mich klar, dass es da noch mehr geben muss. Somit habe ich geschaut, dass ich den Baustein nachhole, der mir weitere Türen öffnet. Ich habe mein Fachabitur an der Herman-Nohl-Schule nachgeholt, damit ich die Möglichkeit habe, weiter aufzusteigen oder zu studieren, wenn ich das möchte.
Und deshalb sage ich, dass es so, wie es gelaufen ist, für mich goldrichtig war. Ich wusste nach der 10. Klasse einfach nicht wertzuschätzen, was es bedeutet, zur Schule gehen zu können. Ich habe die Schulzeit richtig genossen und meine Einstellung zur Schule und zu Noten war dann auch eine ganz andere. Das kann man nicht mit der Zeit in der Realschule vergleichen. Man drückt die Schulbank und ist sich zu 100 Prozent dessen bewusst, dass man das macht, um im Leben weiterzukommen.
Sind Sie danach wieder direkt in das Berufsleben eingestiegen?
Nein. Nach meinem Fachabitur hatte ich im August einen Bandscheibenvorfall. Für mich ist mit der Diagnose eine Welt zusammengebrochen. Ich liebe den Sport und wollte nach meinen Fachabitur Fitnessökonomie studieren. Und plötzlich wurden meine Pläne über Bord geworfen. Meinen 21. Geburtstag habe ich im Krankenhaus gefeiert. Zu dieser Zeit war meine berufliche Perspektive im Eimer. Als MFA wollte ich nicht mehr arbeiten, da mir dieser Beruf zum Schluss nicht mehr viel Freude bereitet hat – ich wollte mit Menschen arbeiten und nicht größtenteils Verwaltungsarbeiten machen. Als ich wieder auf den Beinen war, entschied ich mich, mir einen großen Traum zu verwirklichen. Ich wollte für einige Monate ins Ausland gehen, um bei meiner großen Liebe zu sein. Mein Freund ist Amerikaner und spielt hauptberuflich Football. Er war für eine Saison Quarterback bei den Invaders, als wir uns kennengelernt haben.
Nachdem ich die Flugtickets gebucht hatte, musste ich aber feststellen, dass das gar nicht so einfach ist, wie ich dachte. Das Arbeitsamt lag mir im Nacken, denn ich war arbeitslos gemeldet und natürlich wollten sie mich vermitteln. Wie durch einen Zufall habe ich die Stellenanzeige vom BK gesehen, die eine MFA gesucht haben. Und zwar eine MFA mit wenig Verwaltungsaufwand und viel Patientennähe. Ich habe mich gleich beworben und wurde prompt zum Gespräch eingeladen. Ich hatte bei dem Vorstellungsgespräch so einen Bammel und hatte mir Tage vorher schon den Kopf darüber zerbrochen, wie ich denen erklären soll, dass ich eigentlich erst nach Amerika möchte. Völlig zu Unrecht, wie ich feststellen durfte. Hier im BK bin ich auf ein Verständnis getroffen, womit ich niemals gerechnet hätte. Denn das BK hat mir das Angebot gemacht, dass ich nach meiner Rückkehr die Stelle antreten kann. Und nicht nur das, sie haben sich auch gleich um meinen Vertrag gekümmert, damit ich diesen beim Arbeitsamt vorlegen kann. So viel Unterstützung und Vertrauen, wir mir das BK entgegengebracht hat, obwohl sie mich nicht kannten – damit habe ich nicht gerechnet.
Was ist für Sie das Besondere am BK?
Hand in Hand – auch mit deinem Privatleben. Das finde ich im BK ganz besonders. Unser Krankenhaus ist mit 1.600 Mitarbeitern ein sehr großer Arbeitgeber und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich hier als Mensch und Mitarbeiter zähle. Und das kannte ich aus meiner vorherigen Ausbildung nicht. Wir Phlebo-Leute haben kein festes Team, zu dem wir gehören. Ich fühle mich hier aber trotzdem wahrgenommen und wertgeschätzt. Ich habe so viele Lieblingsmenschen in diesem Krankenhaus und man freut sich, auch wenn man sich nur kurz auf dem Flur sieht. Die meisten Kollegen sind so offen und freundlich. Und obwohl wir ein Haus sind, in dem viel Geschichte steckt, sind wir doch aufgeschlossen und modern. Ich persönlich freue mich immer, wenn mir die Ordensschwestern im Haus begegnen. Wie man auf den alten Bildern, die zum Beispiel vor dem Labor hängen, sehen kann, haben die Ordensschwestern mit sehr viel Herzblut dieses Krankenhaus aufgebaut und uns ein bedeutendes Stück Geschichte hinterlassen.
Im Fotostudio habe ich Sie als absoluten Sonnenschein kennengelernt. Sind Sie generell ein positiver Mensch?
Danke, das Kompliment nehme ich sehr gern an. Ich versuche als positiver Mensch durch das Leben zu gehen. Das war natürlich nicht immer so. Das war eine große Entwicklung, die ich auch meiner Arbeit und den Patienten hier zu verdanken habe. Ich habe mich auf meine eigene persönliche, spirituelle Reise gemacht und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich selber alles in der Hand habe und ich entscheiden kann, was mit meinen Leben passiert. Ich entscheide, wie ich mich der Situation gegenüber fühle. Keine Situation ist von sich aus energetisch geladen. Keine Situation ist gut oder schlecht. Ich entscheide, ob sie für mich gut oder schlecht ist. Und seitdem ich so denke, gibt es für mich keine Tage mehr, wo ich sage, dass Leben ist schlecht, alles ist furchtbar. Das, was ich ausstrahle, das kommt auch zu mir zurück. Mein Herz strahlt und somit strahle ich das auch nach außen aus. Ich würde heute für kein Geld der Welt zurückgehen und Dinge ändern. Alles ist genau so richtig gewesen, wie es gelaufen ist.