Und wie kommt man von Wien auf die etwas weniger bekannte Stadt Hildesheim?
Eigentlich wollte ich in eine große Stadt wie Hamburg oder Berlin. Dann haben mir Bekannte aus Hannover vom St. Bernward Krankenhaus erzählt. Ich kannte Hildesheim nicht einmal und somit habe ich mich über das Krankenhaus und dessen Kinder- und Jugendmedizin informiert und meine Bewerbung losgeschickt. Das BK hat sich gleich gemeldet und bereits der Erstkontakt war angenehm freundlich. Bei meinem ersten Besuch war ich begeistert von dem Team, das mich mit offenen Armen aufgenommen hat. Das St. Bernward Krankenhaus hat nicht lange gefackelt und mir einen Vertrag zugeschickt. So bin ich nach Hildesheim gekommen. Ich mag „exotische“ Gegenden, wie meine Freunde sagen würden. Bei Schladming haben sie mich auch für verrückt erklärt. Und nun bin ich bereits seit eineinhalb Jahren im BK. Zunächst war ich sechs Monate auf der Neonatologie mit Intensivstation, die unter anderem die Betreuung der Frühgeborenen übernimmt. Danach wechselte ich auf die „normale“ Kinderstation.

Warum arbeiten Sie gern im St. Bernward Krankenhaus?
Bei uns auf der Station sind wir ein junges Multi-Kulti-Team. Ich arbeite mit Kollegen, die zum Beispiel aus der Türkei, Rumänien oder Moldavien kommen. Ich selber habe durch meine Eltern indische Wurzeln. Im BK wird die interkulturelle Kompetenz, die heute so wichtig in unseren Berufen ist, stark gefördert. Die unterschiedlichen Kulturen erweitern den Horizont. Mir macht die Arbeit in diesem jungen Team Spaß. Hinzu kommt, dass die Chef- und Oberärzte sehr nett und immer ansprechbar sind. Die Größe des Krankenhauses macht es familär und somit geht man gern zur Arbeit. Und die Kinderklinik des BK ist dank der pädiatrischen und neonatologischen Station sehr umfangreich aufgestellt.

Was sind die schönen Momente in Ihrem Beruf?
Mit Kindern zu arbeiten ist unglaublich erfüllend. Kinder zu behandeln und die Fortschritte und Erfolge zu sehen, zeigt einem die Sinnhaftigkeit im Leben. Ich behandele jeden Menschen gleich und mit derselben Motivation – egal, ob er drei oder 87 Jahre alt ist. Aber ich muss gestehen, dass der Gedanke bei einem Kind schon mitspielt, dass es noch seine ganze Zukunft vor sich haben soll. Und so wächst automatisch der innerliche Druck und Ansporn. Ich bin dankbar, wenn Kinder wieder „gesund“ das Krankenhaus verlassen.

Aber natürlich erleben auch Sie nicht nur schöne Momente. Was sind die "unschönen" Momente in Ihrem Beruf?
Wenn ein Kind verstirbt und man machtlos ist, ihm zu helfen. Wenn man die Eltern und die Verzweiflung sieht, aber auch die Kollegen, die alles in ihrer Macht stehende getan haben. Dann bleibt tatsächlich für einen kurzen Moment die Welt stehen.

Wie gehen Sie mit diesen Momenten um?
Ein Rezept für den Umgang mit dem Tod gibt es nicht, aber es hat viel mit der inneren Einstellung zu tun. Meine Medizin ist die Meditation. Sie hilft mir, die Dinge zu verarbeiten. Ich bin nicht der Typ Mensch, der viel redet. Ich brauche einen Rückzug für mich. Der Tod hängt einem nach, man spürt diese Schwere tief in einem drinnen, die sich nicht so wirklich in Worte fassen lässt. Sie will zusammen mit den Eindrücken von dem toten Kind, den Eltern, dem Team verarbeitet werden. Das ist emotional und anspruchsvoll. Es ist wichtig, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen, sonst kann man diesen Beruf langfristig nicht ausüben, es würde einen irgendwann auffressen.

Wofür stehen Sie jeden Morgen auf?
Geld ist mir egal und das sage ich jetzt nicht, um cool dazustehen. Geld ist für mich die geringste Motivation. Nicht umsonst würde ich auch wieder viele „Ärzte ohne Grenzen“-Einsätze machen. Ich will nicht arbeiten gehen, weil ich es muss, sondern weil ich es will. Weil es mich innerlich erfüllt. Das Geld ist in meinem Beruf einfach ein netter Nebeneffekt.
Für mich ist das oberste Ziel, dass ich ein glückliches und zufriedenes Leben im Einklang mit der Natur lebe, mit Menschen um mich herum, die ich liebe. Alles andere ist vergänglich. Das Leben kann mit einem Fingerschnipps vorbei sein. Daher sollte man die Dinge tun, die einem Freude machen und auf unnötige Sachen keine Energie verschwenden. Wenn du weißt, dass du morgen stirbst, würdest du dich nicht über diese unnötigen Sachen aufregen bzw. einen Gedanken daran verschwenden. Dies versuche ich mir immer vor Augen zu halten. Ich glaube fest daran, dass durch eine optimistische und positive Einstellung auch positive Dinge geschehen.

Wie geht es für Sie nach Ihrer Assistenzzeit weiter?
Das ist eine gute Frage, auf die ich momentan noch keine Antwort habe. Ich interessiere mich für so viele Dinge und bin sehr offen, was neue Themen und Bereiche angeht. Ich habe nebenbei auch ein Studium in der Ayurveda-Medizin absolviert. Ein Bereich, der mich schon immer faszinierte. Ernährung ist so wichtig und Nahrung ist sozusagen die erste Medizin, die wir am Tag zu uns nehmen. Leider vergessen wir Menschen das oft. Somit verfüge ich über ein sehr umfassendes Spektrum, das ineinander greift. Mein Traum ist es, dass ich irgendwann in meinem Leben an einem Punkt stehe, an dem mir alle Türen offen stehen und ich frei entscheiden kann, was ich machen will. Das muss man sich über die Jahre erarbeiten, das fällt einem nicht in den Schoß.
Gern würde ich auch wieder für „Ärzte ohne Grenzen“ im Einsatz sein und dahin gehen, wo die medizinische Versorgung nicht so gewährleistet ist wie bei uns. Menschen helfen, die die Welt teilweise aufgegeben hat. Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Nationalität helfen will. Und meine beiden Fachrichtungen sind ein großer Vorteil bei solchen Einsätzen.

Ihre Eltern sind bestimmt stolz auf Sie, richtig?
Ich bin stolz auf meine Eltern. Ohne sie hätte ich das nicht schaffen können. Meine Eltern sind für mich Vorbilder und sie haben uns Kinder in allem unterstützt, gefördert und bestärkt. Sie selber hatten sehr wenig und haben daraus sehr viel gemacht. Meine Eltern, die aus Indien kommen, haben seit über 30 Jahren zwei Restaurants und immer viel gearbeitet. Meine Geschwister und ich haben schon früh mitgeholfen und wir haben gesehen, wie hart dieser Job ist. Auch das hat mich geprägt. Heute habe ich zusammen mit meinen Eltern ein gemeinsames Projekt: Wir geben in Wien Ayurveda-Kochkurse. Meine ehemaligen Kollegen haben mich auf diese Idee gebracht und ich begleite den Part medizinisch im Background.